#YouthMediaLife im uni:view Magazin

18.07.2018

Initiatorin und Leiterin Susanne Reichl stellt im Interview mit dem uni:view Magazin die interdisziplinäre Forschungsplattform vor.

"Jugendliche wählen sehr bewusst aus, wie sie mit Medien umgehen – das ist Teil ihrer Lebensrealität", so Susanne Reichl, Professorin am Institut für Anglistik und Leiterin der Forschungsplattform "Mediatised Lifeworlds - Young people's narrative constructions, connections and appropriations", kurz #YouthMediaLife.

 

Identitätssuche zwischen Snapchat und Harry Potter

Das Buch in der einen Hand, das Smartphone in der anderen, während der Fernseher läuft und der Laptop ein Video abspielt. Um herauszufinden, wie Jugendliche mit Medien umgehen und dabei ihre Identität finden, hat Anglistin Susanne Reichl eine interdisziplinäre Forschungsplattform initiiert.

Auch auf Twitter wird gelesen. "Bei der Frage nach den Lesegewohnheiten Jugendlicher spielen heute sehr viele Medien und Plattformen eine Rolle", stellt Susanne Reichl vom Institut für Anglistik und Amerikanistik klar. Das Buch an sich ist auch in der Kinder- und Jugendliteraturforschung, einem Schwerpunkt von Reichl, nicht mehr das einzige Medium, das untersucht wird. Denn in der heutigen Medienwelt gestalten junge Menschen Medien mit, statt sie nur zu konsumieren. So schaffen sie ganz eigene Lebenswelten, die die neue Forschungsplattform "#YouthMediaLife" an der Universität Wien unter die Lupe nimmt.
 
"Ein derart umfangreiches Thema wie die Mediennutzung Jugendlicher kann ich nicht alleine bearbeiten", sagte sich Reichl und initiierte mit zehn KollegInnen aus unterschiedlichen Disziplinen das Projekt. Konkret beschäftigen sich die WissenschafterInnen mit der Altersgruppe ab 14 Jahren, wenn der Medienkonsum weniger von den Eltern bestimmt, als von den Jugendlichen selbst bewusst gewählt oder abgelehnt wird. "Jugendliche nutzen Medien sehr selektiv", erklärt Reichl: "Das gemeinsame Wissen über Musikcharts oder Fernsehserien, das es vor ein paar Jahrzehnten noch gab, wird weniger." Dafür würden mittlerweile von der "Generation Harry Potter" bis zur "App-Generation" Jugendliche immer stärker über ihren Medienkonsum definiert.

Was Status-Updates erzählen

Diese Veränderungen führen zu emotionalen Diskussionen über Vor- und Nachteile digitaler Medien, die Reichl auch im eigenen Umfeld oft erlebt: "KulturpessimistInnen meinen, Kinder könnten nicht mehr kommunizieren, während die BefürworterInnen neuer Technologien meist nur das Potenzial für Lernprozesse hervorheben." Dabei stünden neue und alte Medien gar nicht in Opposition zueinander. "Jugendliche gehen viel entspannter mit unterschiedlichen Medien um, als man ihnen zuschreibt", meint die Wissenschafterin. Das Smartphone verdrängt das Buch nicht, sondern bietet für NutzerInnen neue Möglichkeiten, Medien aktiv mitzugestalten.

Mitgestalten und Mitteilen ist besonders für Jugendliche ein wichtiger Bestandteil des Erwachsenwerdens: "Viele schaffen sich über Erzählungen ihre Identität", erklärt Reichl. Bestimmte Erzählstrukturen und -motive finden sich dabei sowohl in mehrbändigen Romanen als auch in sogenannten "small stories" wie Twitter Meldungen oder Facebook Posts. Wie das Erzählen in neuen Medien mit der Identitätsbildung zusammenhängt, möchten die WissenschafterInnen in mehreren Einzelprojekten herausfinden.

Vielfalt als Vorteil

Neben der Mediennutzung selbst spielen bei der Selbstfindung auch psychosoziale Prozesse eine Rolle. Durch die Kategorien, die man auf sozialen Netzwerken auswählen kann, werden sich Menschen z.B. erst bewusst, dass ein Beziehungsstatus Teil einer Identität sein kann. Um diese unterschiedlichen Aspekte der Mediennutzung auch in die Forschung miteinzubeziehen, ist die interdisziplinäre Vielfalt der Plattform ein großer Vorteil: sieben Fachbereiche sind insgesamt beteiligt. "So kann man Fragen stellen, die man mit dem eigenen Zugang alleine nie beantworten könnte", ist Reichl begeistert.

Schon bei den ersten Treffen der Gruppe hat sich gezeigt, dass viele Begriffe diskutiert und zum Teil auch neu definiert werden müssen: Lernen oder Identität sind sowohl in der Psychologie als auch in der Soziologie zentrale Begriffe. Und Medien sind für KommunikationwissenschafterInnen etwas anderes als für PhilosophInnen. In Theorie- und Methodenworkshops tauchen die WissenschafterInnen in die anderen Fachbereiche ein und schaffen gemeinsame Grundlagen. Einig ist man sich beim Thema Nachwuchsförderung: "Wir möchten eine Plattform etablieren, bei der auch junge KollegInnen mitarbeiten können", so Reichl über eines der Ziele.

Wissen weitergeben

Das Wissen, das die Forschungsplattform erarbeiten wird, soll auch über die Universität hinaus einen Effekt haben. "In Amerika wird digitale Medienbildung viel stärker gefördert und ist häufiger in Lehrplänen verankert. In Österreich spielt die 'digital literacy' dagegen bislang keine große Rolle, obwohl Kompetenzen in diesem Bereich immer wichtiger werden", so Reichl.

Besonders für Schulen und LehrerInnen stellen digitale Medien oft eine Herausforderung dar: Dem Verbieten von Smartphones im Unterricht steht die Möglichkeit gegenüber, digitale Medien für das Lehren und Lernen, unter anderem von Fremdsprachen, zu nutzen. "In diesen Medien steckt unglaubliches Potenzial", ist Reichl überzeugt. Deshalb wolle die Forschungsplattform Wissen an die Schulen weitergeben und überlegen, wie dieses Potenzial für SchülerInnen und LehrerInnen umgesetzt werden kann. (pp)

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Jugendliche am Notebook

(© pexels/CC0)